Forschung
BMVI-Teilprojekt „Quo Vadis“ – Wenn Verkehrsdaten vor Gericht landen



Gerichtliche Klagen wegen eines Staus? Das könnte in Zeiten systematischer Verkehrslenkung schon bald Realität werden. Das vom Bundesverkehrsministerium geförderte kleine Projekt „Quo Vadis“ erarbeitet Kriterien, die helfen sollen, verwendete Verkehrslenkungsdaten juristisch zu bewerten.
„Quo Vadis“ steht für „QUalität, Operabilität und VAlidität von Daten Im Straßenverkehr aus juristischer Perspektive“. Die Digitalisierung ermöglicht zunehmend auch eine systematische Steuerung dynamischer Prozesse wie des Straßenverkehrs. Dienstleistungen wie Verkehrsmeldungen im Radio oder Navigationssysteme können helfen, Verzögerungen durch Stau zu vermeiden. Mit zunehmend individueller Verkehrsleitung durch Navigationsprogramme stellt sich die Frage, ob für fehlerhafte Empfehlungen gehaftet werden kann und muss. Solche Ansprüche könnten sowohl im privaten als auch kommerziellen Sektor entstehen, etwa wenn Speditionen nicht rechtzeitig liefern können.
Das Projekt „Quo Vadis“ unter der Leitung von Prof. Dr. Kai von Lewinski, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Medien- und Informationsrecht an der Universität Passau, entwickelt nun Kategorien für eine rechtliche Bewertung der verwendeten Verkehrsdaten. Dort wird nach rechtlich handhabbaren Kriterien für die Qualität (Richtigkeit) und Validität (Genauigkeit) der Daten gesucht. „Verkehrsmeldungen sind oft viel zu unspezifisch. Es reicht zum Beispiel nicht aus, nur zu wissen, ob eine Straße grundsätzlich passierbar ist, sondern auch für welche Fahrzeuge und unter welchen Bedingungen.“, so Lewinski. Beide Phänomene – Qualität und Validität von Verkehrsdaten – sind zentral für die rechtliche Bewertung von Verkehrslenkung. Zu erklären und zu erfassen sind sie vor allem mit Kategorien der Informatik. „Wir versuchen herauszufinden, welche Begriffe man aus der Informatik entlehnen und für die juristische Bewertung nutzbar machen kann.“, erklärt Johanna Hähnle, von der Passauer Forschungsstelle für Rechtsfragen der Digitalisierung (FREDI), die das Projekt als wissenschaftliche Mitarbeiterin begleitet.
In einem zweiten Schritt sollen „rekursive Effekte“ von Verkehrsmeldungen untersucht werden: So kann die Bereitstellung einer Verkehrsinformation das Verhalten der Verkehrsteilnehmenden in unterschiedlicher, nicht klar vorhersehbarer Weise beeinflussen. Einerseits kann beispielsweise eine Staumeldung zur Umfahrung der Strecke führen, andererseits aber auch dazu, auf der Strecke zu bleiben, wenn angenommen wird, dass die Umgehung durch vielfaches Umfahren überlastet ist. Diese rekursiven Effekte machen eine Verantwortungszurechnung schwierig und bedürfen deshalb neuer juristischer Ansätze.
Basis für autonomes Fahren
Das Forschungsvorhaben ist eingebettet in das vom Bundesverkehrsministerium geförderte Projekt „KIMoNo“, das Mobilität im ländlichen Raum durch Künstliche Intelligenz verbessern will. Valide Verkehrsdaten bilden in Zukunft die Basis für ein sicheres autonomes Fahren und sind auch deshalb aus juristischer Sicht relevant. In dem interdisziplinären Teilprojekt „Quo Vadis“ arbeiten die Passauer Juristinnen und Juristen eng zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus der Informatik und der Soziologie.
Projektleitung an der Universität Passau | Prof. Dr. Kai von Lewinski (Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Medien- und Informationsrecht) |
---|---|
Laufzeit | 01.01.2021 - 30.06.2021 |
Website | https://www.uni-passau.de/kimono/ |
Am Lehrstuhl wird aktuell hauptsächlich zum Datenschutzrecht und zur Konvergenz des Medienrechts geforscht. Daneben beschäftigen uns Fragen des Berufsrechts von Anwälten und Steuerberatern, das Finanzverfassungsrecht und die Resilienz von Recht. Anfang 2019 wurde eine Tagung zu "Formaten des Datenjournalismus" in Passau ausgerichtet. Kommende Forschungsthemen sind die Rechtskybernetik und das Informationskollisionsrecht. Der Lehrstuhl war an dem DFG-Antrag "Cyber<->Spaces" der Universität Passau beteiligt.
Projekte
BMVI-Teilprojekt „Quo Vadis“ – Wenn Verkehrsdaten vor Gericht landen



„Mobilität ist, was wir wollen – Verkehr ist, was wir haben.“ Damit begann Roland Busch, Vorstandmitglied bei Siemens, seine Rede bei der inoffiziellen EU-Verkehrsministerkonferenz am 29.10. in Passau, in dessen Rahmen auch Einzelaspekte des Projekts KIMoNo, das sich auf die Fahnen geschrieben hat, Mobilität im ländlichen Raum durch KI zu verbessern, besprochen wurden.
Das Projekt „Quo Vadis“ (QUalität, Operabilität und VAlidität von Daten Im Straßenverkehr aus juristischer Perspektive) soll zwei (aus juristicher Sicht Vor-)Fragen klären, die im Zusammenhang mit dem stehen, was bislang „Verkehrsmeldung“ genannt wird. Insbesondere im non-urbanen Raum und für den PKW-Verkehr haben Verkehrsinformationen großen Einfluss auf den Verkehrsfluss und die individuelle Routenplanung. Umgekehrt basieren die Verkehrslenkung und die Verkehrsleitplanung auf den Bewegungsdaten der Verkehrsteilnehmer. Beides lässt sich mit aktuellen Beispielen illustrieren: Anfang 2020 sorgte ein Künstler für Aufsehen, der in Berlin mit seinem Bollerwagen voller Handys eine Staumeldung bei Google Maps provozierte. Anschaulich zeigt dies die Relevanz der „Richtigkeit“, also der Qualität, aber auch der Validität von Daten. Anfang Herbst 2020 führte die Ankündigung (und Durchführung) von Verkehrsbefragungen in Passau einerseits zu starken Verzögerungen und Staubildungen im Berufsverkehr, andererseits aber auch dazu, dass viele Pendler deutlich früher in die Stadt fuhren, um dem Stau zu entgehen. Das Beispiel der (angekündigten) Verkehrsbefragung zeigt, dass die Information für Verkehrsflüsse diese selbst wieder beeinflusst (Rekursion).
Beide Phänomene – Richtigkeit und Validität von Verkehrsdaten sowie die rekursiven Effekte bei ihrer Veröffentlichung – sind zentral für die rechtliche Bewertung von Verkehrslenkung. Zu erklären und zu erfassen sind sie v.a. aber mit den Kategorien und Werkzeugen der Informatik bzw. der Kybernetik/Systemtheorie/Techniksoziologie. Die dort entwickelten Konzepte müssen deshalb transdisziplinär für die Rechtswissenschaft operationalisiert werden.
In einem ersten Abschnitt von circa drei Monaten sollen rechtlich handhabbare Kriterien für die Qualität und Validität von Verkehrsdaten herausgearbeitet werden. Dabei müssen verschiedene informatische Daten-, aber auch Richtigkeitsbegriffe identifiziert werden. Qualität und Validität von verschiedenen Dimensionen eines Datums unterscheiden sich und können von unterschiedlicher Relevanz für die folgende Verarbeitung und deren rechtliche Bewertung sein. So kann ein Datum durchaus „valide“ sein, also beispielsweise die Information „viele Handys bewegen sich im Stop-and-Go auf der Straße“. Damit ist es aber noch lange nicht von der Qualität, die für die Verarbeitung benötigt wird („viele Handys bedeutet viele Autos, also einen Stau“). Es soll geklärt werden, inwieweit die informatischen Kriterien juristisch operabel sein können, um sie für die Frage nach der rechtlichen Verantwortlichkeit für Verkehrsdaten verwenden zu können.
Im Anschluss und basierend auf den gewonnenen Erkenntnissen soll in einem weiteren dreimonatigen Forschungsabschnitt die Rekursion von Verkehrsbeobachtung und -information analysiert werden. Das Nudge-Konzept sowie Techniksoziologie spielen bei der Steuerung durch Mobilitätsdatenbereitstellung eine entscheidende Rolle, ebenso die Kybernetik und Systemtheorie. So kann die Bereitstellung einer Verkehrsinformation das Verhalten der Verkehrsteilnehmenden in verschiedener, v.a. nicht-linearer und nicht klar vorhersehbarer Weise beeinflussen. Einerseits kann beispielsweise eine Staumeldung zur Umfahrung der Strecke führen, andererseits aber auch dazu, auf der Strecke zu bleiben, wenn angenommen wird, dass die Umgehung durch vielfaches Umfahren überlastet ist. Diese rekursiven Effekte in dynamischen Systemen wie dem Verkehrsgeschehen machen eine Verantwortungszurechnung schwierig und lassen sich mit den herkömmlichen juristischen Kausalitätsmodellen nicht adäquat beschreiben. Hier soll dann geklärt werden, wie in der der Informatik/Kybernetik/Techniksoziologie Ursachenzusammenhänge in dynamischen Systemen beschrieben und erklärt werden, um diese Ansätze dann für die rechtswissenschaftliche Analyse fruchtbar zu machen.
Projektleitung an der Universität Passau | Prof. Dr. Kai von Lewinski (Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Medien- und Informationsrecht) |
---|---|
Laufzeit | 01.01.2021 - 30.06.2021 |
Website | https://www.uni-passau.de/kimono/ |
Kontakt
Prof. Dr. Kai von Lewinski
Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Medien- und Informationsrecht
Telefon: 0851/509-2221
Telefax: 0851/509-2222
Lehrstuhl Prof. von Lewinski